Phillipsburg: Durch insgesamt unsachgemäßen Umgang des Betreibers hätten gravierende sicherheitstechnische Auswirkungen nicht ausgeschlossen werden können

erstellt am: 29.01.2013 • von: Daniel • Kategorie(n): Anti-Atom, KKP Philippsburg, meldepflichtige Ereignisse KKP 1, meldepflichtige Ereignisse KKP 2

Abschlussbericht zu drei meldepflichtigen Ereignissen im Kernkraftwerk Philippsburg in den Jahren 2009 und 2010
Interne Arbeitsgruppe macht Vorschläge zur Optimierung der Atomaufsicht

Baden-Württemberg 29.01.2013 Umweltminister Franz Untersteller: „Der jetzt vorliegende Abschlussbericht zeigt, dass wir unsere Verantwortung als Atomaufsichtsbehörde ernst nehmen und aus Fehlern in der Vergangenheit Lehren ziehen.“

Das Umweltministerium hat heute seinen Abschlussbericht zur Aufarbeitung von drei meldepflichtigen Ereignissen in den Jahren 2009 und 2010 vorgelegt. Damals war es im Kernkraftwerk Philippsburg 2 zu drei Ereignissen gekommen, die der Öffentlichkeit – in einem Fall auch der Atomaufsicht – erst durch ein anonymes Schreiben bekannt wurden. Umweltminister Franz Untersteller hatte das im Herbst 2011 zum Anlass genommen, Prozesse und Verfahrensabläufe sowohl beim Betreiber, der EnBW, als auch bei der Atomaufsicht des Landes hinterfragen zu lassen.

Franz Untersteller: “Sicherheit ist in Bezug auf Abläufe und menschliches Handeln immer auch ein Optimierungsprozess. Selbstkritisches Hinterfragen ist deshalb das Merkmal einer verantwortungsvollen Atomaufsicht.“

Allgemein, so der Umweltminister, ließen sich die Ergebnisse der Überprüfung folgendermaßen zusammenfassen: „Wir werden das Aufsichtshandbuch in einigen wichtigen Punkten ergänzen, wir werden öfter und zusätzlichen externen Sachverstand etwa in der Gutachter-Clearingstelle hinzuziehen, wenn es darum geht die Bedeutung von Ereignissen zu bewerten und wir werden die Kommunikation zwischen Betreiber, Sachverständigen und Atomaufsicht intensivieren und präzisieren.“

Ein anonymes Schreiben, um auf die Problematik von Ereignissen in einem Kernkraftwerk aufmerksam gemacht werden zu müssen, dürfe in Zukunft nicht mehr nötig sein, weder von Betreiberseite aus, noch seitens der Atomaufsicht in Bund und Land, so Untersteller abschließend. Mit der Umsetzung der Empfehlungen aus dem heute vorgelegten Abschlussbericht habe die Atomaufsicht im Umweltministerium die Voraussetzungen dafür geschaffen.

Der Abschlussbericht der Atomaufsicht im Umweltministerium umfasst einen Teil A, der die diskutierten Ereignisse in sicherheitstechnischer Hinsicht einordnet und einen Teil B, der Schlussfolgerungen aus dem behördlichen Umgang mit den Ereignissen 2009 und 2010 zieht.

Teil A – sicherheitstechnische Bewertung

Die Atomaufsicht im Umweltministerium schließt sich der sicherheitstechnischen Bewertung der Sachverständigen, des Physikerbüros Bremen (PhB), an. Demnach gibt es fünf Faktoren, die zu einem insgesamt unsachgemäßen Umgang des Betreibers mit den drei Ereignissen 2009 und 2010 geführt haben.

• Vorgaben des Betriebsreglements wurden unzureichend eingehalten,
• vorgesehene Kontrollmechanismen zur Einhaltung solcher Vorgaben waren unwirksam,
• Freischaltungen wurden nicht wie geplant durchgeführt,
• Sicherheitsbetrachtungen bezüglich Umfang, Qualität und Dokumentation waren unzureichend,
• die kritisch hinterfragende Grundhaltung war teilweise unzureichend.

Diese Mängel traten teilweise gehäuft und kombiniert auf. Dadurch hätten unter anderen Randbedingungen, als sie bei den betrachteten drei Ereignissen vorgelegen haben, gravierende sicherheitstechnische Auswirkungen nicht ausgeschlossen werden können.

Die Konsequenzen, die der Betreiber nach der Einbestellung bei Minister Untersteller am 16. März 2012 zur Aufarbeitung der Ereignisse bei sich gezogen hat, insbesondere das Programm zur Verbesserung der Sicherheitskultur, SIKU, hält die Atomaufsicht für geeignet, um insgesamt zu einem sicherheitsorientierteren Umgang mit Ereignissen wie den in Frage stehenden zu kommen. Ein sehr wichtiger Teil des SIKU ist aus Sicht der Aufsicht die betreiberinterne Durchführung von Sonderkontrollen und Sonderprüfungen als Instrument der Qualitätssicherung von Arbeitsprozessen. Rund 1000 Kontrollen und 5000 Prüfungen hat es im vergangenen Jahr gegeben, bei denen stichprobenweise Vorgänge hinterfragt und festgestellte Mängel besprochen wurden. Die Beanstandungsquote bei den Kontrollen ist zwischen Mai und September von 65 Prozent auf 11 Prozent zurückgegangen. Das SIKU soll Ende 2013 abgeschlossen sein und wird bis dahin von der Atomaufsicht begleitet und überprüft. Teile des SIKU sollen über 2013 hinaus zur Dauereinrichtung werden.

Teil B – behördlicher Umgang mit den drei Ereignissen

Neben der sicherheitstechnischen Bewertung der drei Ereignisse und neben der selbstkritischen Betrachtung der Ereignisse durch den Betreiber, hat auch die Atomaufsicht im Umweltministerium ihr Vorgehen und ihre Rolle in Bezug auf die Ereignisse 2009 und 2010 untersucht.
Eine interne Arbeitsgruppe der Fachabteilung im Ministerium, deren Mitglieder nicht mit der Aufsicht über das Kernkraftwerk Philippsburg befasst waren, hat in insgesamt 12 Sitzungen verfügbare Unterlagen gesichtet und besprochen und zuständige Mitarbeiter des TÜV Süd und der Kerntechnik-Gutachter Arbeitsgemeinschaft, KeTAG, als Gutachter der Kernenergieüberwachung, den damaligen Leiter der Fachabteilung im baden-württembergischen Umweltministerium sowie Mitarbeiter der Bundesaufsicht und des Bundesamtes für Strahlenschutz befragt.
Ziel war es, Empfehlungen zu erarbeiten, deren Umsetzung helfen, die aufsichtliche Tätigkeit zu verbessern und Fehler wie sie 2009 und 2010 offensichtlich vorgekommen sind, zu vermeiden.

Ein Ergebnis der internen Überprüfung im Umweltministerium ist zum Beispiel der Beschluss, die behördeninterne Clearingstelle künftig wieder verstärkt auch bei der Überprüfung potenziell meldepflichtiger Ereignisse einzuschalten, um eventuell vorschnelle beziehungsweise oberflächliche Bewertungen von Sachverhalten zu verhindern. Bei komplexen Vorgängen soll eine zweite Sitzung der Clearingstelle mit zeitlichem Abstand das selbe Ereignis erneut beraten.
„Es gibt immer wieder Fälle, die entweder von vornherein nicht eindeutig zu bewerten sind, oder deren Beurteilung sich bei genauerer Analyse ändert. In jedem Fall sollte das Fachwissen der Mitglieder der Clearingstelle eher einmal mehr herangezogen werden“, sagte Umweltminister Untersteller.
Bezüglich der in Frage gestellten Ereignisse der Jahre 2009 und 2010 hatte sich bei zwei der drei Ereignisse die Bewertung des Betreibers, des Gutachters und der Atomaufsichtsbehöde nachträglich geändert (siehe unten „Ergänzende Informationen“).

Ein zweites Ergebnis betrifft die Kommunikationsprozesse zwischen Betreiber, Haupt-Gutachter (TV Süd ET) und Atomaufsicht.
Umweltminister Untersteller: „Der Informationsfluss zwischen den Beteiligten war alles andere als optimal. Deshalb ist es unbemerkt und später ungerügt geblieben, dass der Betreiber eine wesentliche Arbeit am Reaktor vom Zeitraum der Revision in die Zeit des Heißbetriebs gelegt hat. Die Folge war ein sicherheitstechnisches Risiko beim Brandschutz. Das darf nicht passieren und es ist bei umfassender und genauer Weitergabe von Informationen auch vermeidbar.“

Ergänzende Informationen:

Bei den drei untersuchten und beanstandeten Ereignissen aus den Jahren 2009 und 2010 handelt es sich um
1. „Unscharfmachen von Gebäudeabschlussarmaturen des Sicherheitsbehälters bei Änderungsmaßnahmen am Feuerlöschsystem“, 12.05.2009
2. „Freischaltung von Dreiwegearmaturen (LAR) in 4 Redundanzen des Notspeisesystems, 19.01.2010
3. „Wasserverlust aus dem Brennelementlagerbecken“, 17.06.2010

Alle drei Ereignisse wurden vom Betreiber zunächst als nicht meldepflichtig eingestuft, eine Bewertung, die bislang in den Fällen 1 und 2 korrigiert werden musste. Die Ereignisse 1 und 3 hatte der Betreiber der Aufsichtsbehörde mitgeteilt. Ereignis 2 wurde der Atomaufsicht erst durch ein anonymes Schreiben bekannt. Die Behörde hatte dann das Nichtvorliegen der Meldepflicht bestätigt.

Wegen des Ereignisses vom 12.05.2009 ermittelte auch die Staatsanwaltschaft in Karlsruhe wegen des Verdachts des ungenehmigten Betriebs einer kerntechnischen Anlage. Die Ermittlungen wurden im September 2011 eingestellt.

Der Auftrag des Umweltministeriums, die Ereignisse von externer Seite einer gründlichen sicherheitstechnischen Untersuchung zu unterziehen, erging im November 2011, also nach dem Regierungswechsel in Baden-Württemberg, an das Physikerbüro Bremen.

Die Abschlussgutachten lagen vollzählig und vollständig im Januar 2013 vor. Entwürfe, auf deren Basis sowohl der Betreiber, als auch die Atomaufsicht ihrerseits eine sicherheitstechnische Neubewertung der Ereignisse vornehmen konnten, lagen am 02.03.2012 (Ereignis 1), am 18.6.2012 (Ereignis 2) und am 23.10.2012 (Ereignis 3) vor.

Die interne Arbeitsgruppe der Atomaufsicht nahm ihre Arbeit im April 2012 auf, der Kraftwerksbetreiber, die EnBW Kernkraft GmbH (EnKK), legte im selben Monat einen Bericht zu den drei Ereignissen vor und präsentierte zugleich das Unternehmenskonzept SIKU zur Stärkung der Sicherheitskultur und zur Stärkung einer kritisch hinterfragenden Grundhaltung.

Mehr Informationen und Veröffentlichungen zu den drei Ereignissen im KKP 2 in den Jahren 2009 und 2010 finden sie auch im Netz auf den Seiten des baden-württembergischen Umweltministeriums http://www.um.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/81101/

Unter anderem die Pressemitteilung vom 15. März 2012 (Bekanntgabe des ersten Gutachtens des Physikerbüros Bremen, in dessen Folge die interne Arbeitsgruppe der Atomaufsicht eingesetzt wurde und die EnBW ihr SIKU-Programm startete)

Der Abschlussbericht des Umweltministeriums geht auch dem Bundesumweltministerium und der Staatsanwaltschaft zu. Verschiedene vertiefende Fragen zu den Ereignissen in den Jahren 2009 und 2010 müssen überdies noch abschließend beantwortet werden.

Quelle: Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg


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