19-12-14 - Hst - Lokales - Modellansatz für eine fast klimaneutrale Stadt

Carsten Friese

Es ist ein Modellversuch, die vieldiskutierte Energiewende vor dem Hintergrund der Klimaziele für eine Stadt wie Heilbronn rechnerisch durchzuspielen. Das Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn hat über Projektentwickler Daniel Knoll (32) ein neues Konzept vorgelegt, mit dem die Stadt auf dem Energiesektor zu einer „klimaneutralen“ Bilanz kommen kann, wie er sagt.

Es sind viele Zahlen, die Betriebswirt Knoll, der als freier Projektentwickler für Bürgerenergiegenossenschaften arbeitet, gemeinsam mit BUND-Regionalgeschäftsführer Gottfried May-Stürmer vorstellt. Quintessenz: Es sind viele Umstellungen im Energiesektor nötig, um das Ziel zu erreichen. Aber: „Die Menschen müssten ihr Verhalten nicht ändern und dürfen zum Beispiel genauso viel Auto fahren wie bisher“, stellt Knoll fest. Beim Stromverbrauch geht das Konzept von derselben Basismenge wie heute aus. Dazu käme weiterer Strom für umgestellte Sektoren. Neu ist: Der Strom soll komplett aus regenerativen Energien gespeist werden.

Wärmepumpe statt Gas Ginge das? Kernpunkte des Konzepts: Die drei größten Bereiche, in denen in Heilbronn viel CO2 produziert wird, sollten komplett umgestellt werden. Das sind Prozesswärme, die in der Industrie in der Verarbeitung entsteht, Raumwärme durch viele Gas- oder Ölheizungen und der Verkehr. Knoll hat die Verbrauchswerte heute und bei einer Umstellung anhand von Studien, Stadt- und Bundesdaten berechnet. Sein Ansatz: Wenn man Wohnhäuser mittelfristig konsequent mit energieeffizienten Wärmepumpen ausstattet, können viel CO2 und Energie gespart werden.

Beim Verkehr sei der vorrangige Einsatz von Elektro-Autos die effizienteste Lösung. Hier erwartet Knoll, dass die Preise für Stromautos bald im Bereich von Benzin- und Diesel-Pkws liegen. Bei Lkws sollen synthetische Kraftstoffe oder Brennstoffzellen weiterhelfen. Und in der Industrieproduktion soll CO2-freier Strom die nötige hohe Prozesswärme erzeugen.

Ein sehr stromintensives Gesamtkonzept. Knoll hat berechnet, dass man insgesamt 1,7 Milliarden Kilowattstunden Strom im Jahr benötigen würde (siehe Grafik). Bei Heizungswärme über Wärmepumpen und bei der neuen Elektro-Mobilität könne man jeweils zwei Drittel der nötigen Energie gegenüber dem heutigen Verbrauch einsparen, geben die Berechnungen vor.

Den Strom CO2-frei erzeugen sollen folgende Umstellungen:

Photovoltaik: Alle geeigneten Dachflächen in Heilbronn sollen mit Solarmodulen bestückt werden: rund 15 000 Stück. Zudem sollen Solarparks auf drei Quadratkilometer Fläche entstehen. Angedacht sind auch Solardächer über Park- und Weideflächen. Anteil: ein Drittel.

Windparks: Sechs Windparks in der Größe des Harthäuser Walds (16 Windkraftanlagen) sollen im Umland entstehen. Die Hohenloher Ebene hätte für Knoll Potenzial. Weiterer Strom soll aus Offshore-Windanlagen in Ost- und Nordsee kommen. Anteil: zwei Drittel.

„Technisch ist das alles machbar – nur ein Problem der Verfügbarkeit der Flächen“, räumt May-Stürmer ein. Ein solcher Ansatz sei nötig, um die Klimaziele zu erreichen. Und: Bei solch einer Umstellung würde man in Heilbronn „eine Luft fast in Schwarzwald-Qualität erhalten“.

Um den Strom effektiv speichern und verteilen zu können und das Stromnetz stabil zu halten, müssten Akkus und langfristige Energiespeicher wie zum Beispiel beim Power-to-Gas oder -Liquid-System eingesetzt werden, sieht das Konzept vor.

Rendite-Frage Die Kosten für die gesamte Umstellung beziffert Daniel Knoll mit 1,39 Milliarden Euro. Wer das bezahlen soll? Er ist optimistisch. Bei einer Rendite von rund fünf Prozent im Sektor erneuerbare Energien werde es genug Investoren geben. Bürger könnten ihr Dach auch verpachten. „Es ist realistisch“, glaubt Knoll. Die Frage sei, wie rasch so ein Konzept umgesetzt werde. Den Ratsfraktionen und der Verwaltung will das Aktionsbündnis Energiewende das 32-seitige Konzept noch genauer vorstellen.

Einschätzungen

Die Stadt Heilbronn schreibt in einem Entwurf zum Klimaschutz-Masterplan, der derzeitige Strombedarf in der Stadt „kann voraussichtlich nicht nur aus erneuerbaren Energien gedeckt werden“. In einer Grafik nimmt sie einen Anteil der Photovoltaik an der Stromerzeugung bis zum Jahr 2050 von rund 35 Prozent an.

Ein Umweltingenieur aus der Region Heilbronn lobt den Ansatz, das Konzept durchzurechnen. Die starke Konzentration auf Elektromobilität hält er indes nicht für optimal. Geringere Fahrleistungen, sehr sparsame Verbrenner und schadstoffarme Gasmotoren seien ein weiterer Ansatz. Bei den Windparks ist er skeptisch, ob sich diese angesichts der heutigen Widerstände bei Bürgern realisieren lassen. Ein Problem sieht er aktuell noch in der Speicherung von Strom und in der Netzstabilität.cf

14.12.2019 - Heilbronner Stimme - Lokales - Carsten Friese