Redebeitrag von Pfarrer Ulrich Koring bei der Abschlusskundgebung auf dem Kiliansplatz

Kernkraftwerke seien die wirksamste CO2-Bremse – so profiliert die Bundesregierung ihre Atompolitik. Der Pro-Kopf-Anteil an CO2 sei nur mit Hilfe der Atomkraft zu verringern. Wer das glaubt, wird gewiss nicht selig.

KKW sind die Dinosaurier des kalten Krieges. Sie sind die Kinder des militärischen Interesses an der Kernkraft. Denn sie dienten zur Fortführung des Krieges mit wirtschaftlichen Mitteln. Jederzeit können sie Schauplatz von Unfällen oder Ziel terroristischer Angriffe sein.

Die Kernenergie hat das Anwachsen unseres Wohlstands beschleunigt, gewiss. Umgekehrt ist der Bau der KKW mit Mrd. an Steuergeldern subventioniert worden. Heute produzieren sie nicht nur Strom, sondern auch Geld. Über die Hochzeit von Macht und Geld braucht man sich nicht zu wundern, wenn man sieht, wie eng Atomwirtschaft und Politik personell verflochten sind.

Ihre Zweckehe ist über 2022 hinaus auf 16 Jahre befristet, damit sich das Geld aus der Verantwortung stehlen kann, wenn es darum geht, den radioaktiven Nachlass zu regeln.

Um die ungeklärte Endlagerung und die noch weniger klare Überwachung des strahlenden Materials müssen sich die Kraftwerksbetreiber nicht kümmern, das übernehmen die Bürger, unsere Kinder und Kindeskinder, und deren Kinder für einen Zeitraum von 20 Tsd Generationen. Solange werden uns die Substanzen mit langer Halbwertszeit beschäftigen. Doch kein Mensch weiß, was in Jahrtausenden mit den Behältern und Lagerstätten geschieht. Gerade deshalb protestieren wir dagegen, dass bei längerer Laufzeit noch mehr Atommüll entsteht.

Gestützt wird das atomare Imperium auf populistische Behauptungen:
Um Einbußen bei Produktion und Konsum zu verhindern, sei Atomstrom unverzichtbar.

Angeblich seien die Erneuerbaren Energien erst in dreißig Jahren leistungsfähig. „Freut euch des Lebens, solange der Meiler glüht“ suggeriert die Atomlobby. Und die Bundesregierung baut eine breite Brücke zu großen Gewinnen aus dem Geschäft mit dem Atomstrom.

Das Zeitalter der Erneuerbaren Energie fängt nicht erst nach dem Abschalten der AKWs an, das Zeitalter der Erneuerbaren hat längst begonnen – denn die Erneuerbaren wachsen und breiten sich aus. Trotz der beabsichtigten Verlängerung der Laufzeiten wird die aus Sonne, Wind und Wasser gewonnene Energie die Leistung der AKWs nicht nur überflügeln, sondern ersetzen. Und dafür treten wir ein.

Jeder Verbraucher kann seinen Beitrag dazu leisten und seinen Strom bei einem Anbieter kaufen, der Wasser-, Wind- und Sonnenenergie in Strom verwandelt.
Das ist ja auch das Fernziel der Regierung. Deshalb wird die Abgabe zur Förderung der EE um einen Cent erhöht. Kaum leuchtet ein Hoffnungsschimmer auf, haben Eon, EnBW, RWE, Vattenfall die EE zum preistreibenden Schmarotzer erklärt. Bekanntlich sind die Gewinne der Stromkonzerne um 25% gestiegen, die Teuerung durch die Förderung der EE macht nur 5% aus. Es liegt auf der Hand, weshalb der Strompreis steigt.

Ich stehe hier als Vertreter der Kirchen, weil die Kirchen seit vielen Jahren dafür öffentlich eintreten, die Atomwirtschaft so rasch wie möglich auslaufen zu lassen. In einer kirchlichen Unterschriftenaktion von August bis Oktober haben viele Menschen gegen die Verlängerung der Laufzeiten protestiert.
Sie, wir und viele andere rufen ins Bewusstsein, dass die Atomwirtschaft keine Brücke, sondern eine Sackgasse ist, ein vorauseilender Verbrauch von Zukunft. Verbraucht wird Zukunft gerade deshalb, weil die Zweck-Ehe aus Macht und Geld die bestehende atomare Problematik in die Länge zieht und echten Fortschritt blockiert.

Mit ihrem Kniefall vor der Atomwirtschaft hat die Regierung einen Tanz begonnen, der sich um einen „goldenen“ Stier dreht.
Dieser Stier ist Sinnbild für Kraft und Erfolg, er verkörpert den überheblichen Glauben an sich selbst, an die eigene Unbezwingbarkeit. Der Stier bindet die Kraft derer, die ihn umtanzen; ihnen fehlt die Kraft, um Altlasten von der Zukunft fernzuhalten; es fehlt ihnen die Kraft, einen neuen Weg zu gehen.

Der Tanz um den Atomstier ist Verrat an der Zukunft. Solche Tänze werden immer dann aufgeführt, wenn Menschen den Glauben an eine neuartige Zukunft aufgeben und sich gegen neue Chancen verschließen. Statt der Zukunft kommt die Vergangenheit auf uns zu, weil wir sie blindlings wiederholen. Zukunft ist neu gefüllte Zeit, sie kommt nur, wenn wir schon heute tun, was morgen sein soll.

Während die Regierung mit ihrem Deal „Zeit ist Geld“ - Laufzeit ist Steuergeld - um die Atommeiler tanzt, setzen wir uns dafür ein, dass heute wächst und gedeiht, was morgen ausgewachsen sein soll:  die Erneuerbaren Energien.

Wir nehmen es nicht hin, dass die Weiterentwicklung der EE ausgebremst wird. Denn im Tanz um den Atom-Stier geht dem Volk immer mehr von seiner wirtschaftlichen und politischen Autorität verloren.

Die Hoheit über Feuer, Wasser, Luft und Erde, anders gesagt: die Hoheit über Energieversorgung, Wasserregime, Klimaschutz und Rohstoffverbrauch, diese Hoheit gehört in die Hand der Bürger. Die Energiewirtschaft der Zukunft ist regional, dezentral, kommunal und genossenschaftlich.

Die Stromversorgung, die heute den Bürgern entfremdet ist, fing vor über hundert Jahren regional an. Daran können wir anknüpfen. Jeder kann naturnah Selbstversorger werden, wenn er Strom kauft, den man aus Wind, Wasser und Sonne gewinnt.

Jeder kann dazu beitragen, den Verbrauch der kostbaren Energie zu verringern, genauso wie wir durch Besonnenheit und Sorgfalt dazu beitragen, dass Treibstoffe, Verpackungen, Nahrungsmittel nicht vergeudet werden, weil mit ihnen zugleich auch Arbeit, Rohstoff, Energie vernichtet wird – und was noch schlimmer ist: die Lebensgrundlagen derer, die hungern.

Jeder von uns ist ein Energiepolitiker.
Denn Feuer, Wasser, Luft und Erde
sind uns allen anvertraut.

Darum:
Atomkraftwerke abschalten.