10-01-16 - Südewest Presse - Die Flucht vor der Atomwolke

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Die Flüchtlingswelle rollte mit dem Zug im Nürtinger Bahnhof ein: 4100 Menschen aus dem Heilbronner Stadtteil Horkheim, die einen mit Hamsterkäfig, die anderen im Bademantel und mit Rasierschaum im Gesicht. Nürtingens Oberbürgermeister begrüßte die "Atomflüchtlinge" und appellierte an seine Bürger, sie aufzunehmen, weil auch sie sich doch stets gegen Atomenergie engagiert hätten.

Das Szenario ist eine "Übung". Eine Gruppe von Kernkraftgegnern hatte nämlich im Kleinen durchgespielt, was laut den Plänen des Stuttgarter Regierungspräsidiums eigentlich gar nicht lustig wäre: Die Evakuierung einer Zehn-Kilometer-Zone im Umkreis des Großkernkraftwerks Neckarwestheim bei einem "Größten Anzunehmenden Unfall" in demselben. In einem solchen Fall müsste sich auch Schwäbisch Hall für eine Flüchtlingswelle rüsten. 11100 Einwohner von Lauffen am Neckar sollen mitsamt ihren Nutztieren hier unterkommen - und für ihre Flucht die Autobahn nehmen. Dasselbe auch in Gaildorf: Die Parkschule und die Sporthallen sind für die Unterbringung von 4100 Talheimern vorgesehen.

Ja, sagt der Haller Ordnungsamtsleiter Manfred Gentner , der Plan sei auch in der Stadtverwaltung bekannt. "Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass es solche Katastrophenpläne gibt." Auf seine Initiative hin gebe es seit vergangenem Jahr sogar einen allgemeinen Plan für Großschadensereignisse.

Solche Pläne sehen allerdings nicht vor, dass Transparente im Rathauskeller bereitgehalten werden mit der Aufschrift "Schwäbisch Hall begrüßt die Atomflüchtlinge". Solche hatten die Initiatoren der "Übung" nach Nürtingen mitgebracht. Dass aber die Haller gastfreundlich sein würden, ist sich Gentner sicher. "So, wie ich die Haller kenne, sind sie hilfsbereit und verantwortungsbewusst." Vielleicht ist dann ja auch eine Abordnung der Sieder dabei, die den durstigen Flüchtlingen den Gockel mit Wein reicht. Ob auch der Haller Oberbürgermeister die Gäste im Rathaus begrüßt, wie er das sonst mit Gästen der Stadt auch tut? "Da gehe ich davon aus", ist Gentner überzeugt.

Stadtbrandmeister Volker Damm hätte allerdings anderes im Sinn: "Ich würde meinen Piepser wegwerfen und verschwinden", sagt er im Scherz. Im Ernst: Tatsächlich übt seine Feuerwehr solche Einsatzszenarien, ob als Planungsübung für Evakuierungen oder nur mit dem ABC-Erkundungstrupp.

Die Kernenergiegegner aus Heilbronn warnen: Eine Atomwolke würde sich nicht an die im "Katastrophenplan Großkraftwerk Neckarwestheim, objektbezogener Auslöseteil II - Schutzmaßnahmen für Bevölkerung und Nutztiere" festgelegte Evakuierungszone halten. Bei Westwind würden die Lauffener und Talheimer dann vielleicht etwas verloren auf den Marktplätzen in Gaildorf und Hall herumstehen. Denn deren Einwohner würden wahrscheinlich längst in Crailsheim sein und dort vom Oberbürgermeister als Flüchtlinge begrüßt. Man muss hoffen, dass es nie so weit kommt.

Bildunterschrift: Rund 15000 Einwohner mehr hätten Hall und Gaildorf nach einem Super-GAU im Atommeiler Neckarwestheim.

16.01.2010 - Südwest Presse - Lokales - Landkreis Schwäbisch Hall - Karsten Dyba