Stellungnahme zum Stadtentwicklungsprojekt Neckarbogen im Rahmen der Vorbereitung der BUGA 2019 in Heilbronn

Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn

Welches Potential bietet das freigeräumte Stadtgebiet Neckarbogen?

Das freigeräumte Stadtgebiet „Neckarbogen“ liegt gemeinsam mit dem Bahnhofviertel zwischen Stadtneckar und Kanalhafen direkt gegenüber der historischen Kernstadt. Daraus ergibt sich das einzigartige Potenzial dieser Stadtlage

Wird dieses Potenzial durch die Zielsetzungen und Planungsprozesse der Stadt
erkannt und gehoben?

In die Zielsetzungen zum Ideenwettbewerb Neckarbogen 2008 sind Aspekte nachhaltiger, ganzheitlicher Stadtentwicklung ausführlich eingeflossen (Ausschreibung, S.17).
Im städtebaulichen Rahmenplan von 2010 und dem darauf fußenden Anhang 3 zur Nachhaltigkeit werden die Entwicklungsziele nur noch auf rein lokale, vorwiegend technische Vorhaben reduziert (S. 3), wie klimaneutralen Gebäudebetrieb, nachhaltiger Transport, Wassernutzung, Materialien, Ernährung usw..
Die Drucksache 036 des Gemeinderates vom Februar 2012 wiederum nimmt in Anhang 8, Pkt. 1 einige Elemente nachhaltiger Stadtentwicklung zielsetzend wieder auf, aber ohne diese dann im Zusammenhang mit den dargestellten Verkehrsprojekten zu vertiefen und zu belegen: Vernetzte Innenstadtexpansion, Mischnutzung, Stadt am Fluss, Stadt der kurzen Wege mit Mobilitäts- und Ressourceneffizienz usw..

Fazit: Aus diesen zugänglichen Unterlagen ist nicht verlässlich erkennbar, wie die Chancen der Stadtlage verwirklicht und die Nachhaltigkeitsziele angewandt und als Leitfaden der Planung und ihrer Bewertung genutzt werden.

Welche Ziele verfolgt Heilbronn wirklich? Welches sind die Maßstäben nachhaltiger Stadtentwicklung und wie messen sich die konkreten Planungen daran?

Nachhaltige Stadtentwicklung folgt international den drei anerkannten Grundsätzen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Soziales und Ökonomie. Sie ist zum Beispiel mit den Bewertungskriterien der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) oder den Handlungsfeldern aus dem BBSR (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung) formuliert, begründet und detailliert:

  • Innen- vor Außenentwicklung im Kontext der Region
  • Sie erhält den sozialen Frieden.
  • Sie fördert Innovation und wirtschaftliche Entwicklung.
  • Sie strebt nach Energieeffizienz und Klimaschutz in der Stadt.
  • Sie ist ein Prozess, der zum Stadtbau in hoher Qualität führt.
  • Sie ist selbstbestimmtes, zivilgesellschaftliches Engagement!

Fazit: Damit ist nachhaltige Stadtentwicklung ein anerkannt definierter und ganzheitlich messbarer  Prozess – und kein Objekt beliebiger kommunalpolitischer Auslegung! Die Maßstäbe sollten erkennbar und durchgängig in die Ziele der Stadtentwicklung umgesetzt und zur Ausgestaltung, Bewertung und Überprüfung der Ausführungsplanung genutzt werden.

Wie sind die Aspekte der Klimaneutralität und Energieeffizienz in den bisherigen
Planungen zu bewerten?

Grundsatz: Klima- und Ressourcenneutralität durch erneuerbare Energien und Energieeffizienz im Städtebau und in der Mobilität sind Schlüsselelemente jeder Nachhaltigkeit.

Rahmenplan und Nachhaltigkeitskonzept gehen verschiedentlich auf Klima- und Energiefragen ein. Zu kritisieren ist, dass im Nachhaltigkeitskonzept vor allem „die fachliche Welt der Ideen und Möglichkeiten“ aufgezeigt wird und eine resultierende kommunalpolitische Gesamtkonzeption oder Verbindlichkeit nicht erkennbar ist.

Energieerzeugung

Die Installation eines BHKW mit gewerblicher Vernetzung wird grundsätzlich befürwortet. Wir bezweifeln aber, dass die Fokussierung auf Holzpellets und (später) Biomasse zielführend sind. Woher sollen die nötigen Mengen (vor allem Biomasse) kommen und wozu bis in die Innenstadt transportiert werden?

Wir fordern eine energetische Lösung in der Vernetzung mit den vorhandenen Ressourcen der Stadt und nahen Region, statt der Schaffung aufwendiger, elitärer Insellösungen:

  • Ausbau der stadtnahen Biogaserzeugung unter Nutzung des Gasleitungsnetzes zur Versorgung des BHKW,
  • Kombination mit Photovoltaik vor Ort (wie vorgeschlagen)
  • Erdwärme (hier ist die kürzlich vorgeschlagene Nutzung der Abluft des Salzbergwerkes ein interessanter Beitrag)
  • unbedingte Nutzungsvernetzung mit den Gewerbeflächen im Umfeld des Wohngebietes prüfen und entwickeln: Hafen, Bahnhofsbereich, hip, Wohlgelegen.

Energieverbrauch der Gebäude

Das Projekt Neckarbogen sollte einen erkennbaren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Dazu sollten die Gebäude konsequent auf mindestens Null- oder besser Plusenergiehäuser ausgerichtet sein.
Diese Anforderung auch auf die Gebäude der Dienstleistungsgewerbe auszudehnen und die Mobilitätskonzepte mit einzubeziehen (s. unten) stellt eine interessante und notwendige Herausforderung dar.
Das Angebot einer undefinierten Mischung verschiedener Energietypen bzw. die Bezeichnung eines undefinierten „hohen energetischen Standards“ - wie im Nachhaltigkeitskonzept - weicht dieses Ziel substanziell auf und untergräbt die Zielsetzung der Nachhaltigkeit.

Mobilität:

Für den Beitrag des Neckarbogens zu Klimaschutz und Ressourceneffizienz ist neben der Wärme- und Strombilanz der Gebäude seine Gestaltung als verkehrsberuhigter, öffentlich exzellent vernetzter Innenstadtbereich entscheidend. Diese Gestaltung prägt entscheidend den notwendigen Umfang und die praktikablen Arten der Mobilität der Nutzer und Bewohner des Gebietes.
Daher sind der Verzicht sowohl auf die Kranenstraße als auch auf die Schließung des Stadtringes über die Westrandstraße nicht nur Schlüsselelemente der Verkehrspolitik und unverzichtbar zum Lärmschutz im neuen Stadtteil, sondern auch essenziell zur Gestaltung des Gebietes als Musterprojekt nachhaltiger Stadtentwicklung. Wenn über 25 000 Kfz täglich über eine zukünftige Westrandstraße durch den Stadtteil Neckarbogen fahren würden, wäre das Gesamtkonzept eines verkehrsberuhigten, CO2-neutralen Stadtteils völlig unglaubwürdig.
Die daran anknüpfenden Mobilitätskonzepte sollten dann in zwei Richtungen entwickelt werden: nach innen, für den „letzten Kilometer“ als Elektromobilität und nahe Transportangebote und durch eine intensive Vernetzung nach außen, mit dem Umfeld und als Einstieg in die Verkehrsberuhigung und Aufwertung der ganzen Innenstadt – auch damit sie eine wirtschaftliche Chance haben.
Wir meinen, dass Klimaschutz und Energieeffizienz im Bereich der Mobilität erreicht werden können:

  • Standort für Carsharing und individuelle und öffentliche Elektromobilität
  • Gewinnung der elektrischen Fahrzeugenergie aus dem Standort selbst (PV, BHKW)
  • intensive Vernetzung über ÖPNV sowie Rad- und Fußwege, vor allem zur Innenstadt über die Kraneninsel und über eine Fußgänger- und Radbrücke vom Bahnhof ins BUGA-Gelände.
  • Ausgelagerte Parkierungsmöglichkeiten für den verbleibenden MIV (Motorisierten Individualverkehr) erhöhen sowohl die Attraktivität des Gebietes als auch der ökologischen Mobilitätsangebote. Z.B. durch eine Parkgarage an der Zufahrt zur Hafenstraße.

Gesamtenergiebilanz:

In die Gesamtenergiebilanz des Neckarbogens müssen Gebäudeenergie, Gewerbenutzungsverbrauch und Mobilitätsverbrauch einbezogen werden. Dementsprechend sollte

  • die Gesamtenergiebilanz auf der Basis der Null- und Plusenergiehäuser weiterentwickelt werden
  • der Stromverbrauch mit ausreichenden erneuerbaren Erzeugungskapazitäten im Stadtgebiet (s.o.) sichergestellt werden und
  • die Elektromobilität der in die lokale Energiebilanz einbezogen werden.

Fazit: Gebäude-, Siedlungs- und Verkehrsplanung des neuen Stadtteils müssen unter dem Primat des Klimaschutzes und im Zusammenhang mit der Umgebung, speziell der Kernstadt, gedacht werden.

Wird der Grundsatz der nachhaltigen Stadtentwicklung als selbstbestimmtes, zivilgesellschaftliches Engagement beachtet?

Nachhaltige Siedlungsplanung ist gemäß den anerkannten Grundsätzen selbstbestimmtes, zivilgesellschaftliches Engagement. Dieses Engagement muss sowohl bei der Siedlungs- und Verkehrsplanung als auch später bei der Planung der einzelnen Gebäude eingebracht werden können.
Bei der Siedlungs- und Verkehrsplanung kann das durch für interessierte BürgerInnen offene Workshops – deren Ergebnisse nicht unbeachtet in Schubladen verschwinden dürfen! – und durch offensive Gestaltung der im BauGB vorgesehenen Öffentlichkeitsbeteiligung geschehen.
Bei der Planung der einzelnen Gebäude ist die Vergabe der Bauplätze an selbstorganisierte Bauherren/damengruppen das Mittel der Wahl, wie im Freiburger Vauban-Viertel und im Tübinger Franzosenviertel praktiziert. Planung durch die üblichen Bauträger führt zu schematischer Architektur, zum Ausmosten zwecks Profitmaximierung und zur städtebaulichen Langeweile. Planung durch Baugruppen führt zu Vielfalt, Abwechslung und bürgerInnengerechter Architektur. Vorgaben wie die Reservierung der Erdgeschosse für gewerbliche Nutzung oder Gemeinschaftseinrichtungen führen zur funktionalen Durchmischung und zu einem Stadtviertel der kurzen Wege.