10-10-12 - Hst - Nachbarschaft - Ratlos mit tausend Schlüsseln

Siegelsbach - Geschichte zum Anfassen bei Führung durch ehemaliges US-Militärdepot

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Von Doris Gabel

Die Gebäude des ehemaligen US-Militärdepots verfallen, Büsche überwuchern die 54 überirdischen Bunker auf dem rund 140 Hektar großen Gelände im Schlagwald. So sieht das Ende des Kalten Krieges aus, zumindest zwischen Siegelsbach und Obergimpern. Die Bunker sind stumme Zeugen für den Höhepunkt des Wettrüstens von NATO und Warschauer Pakt in den 80er Jahren.

Dunkle Ahnungen Über 20 Jahre später haben am Sonntag Zeitzeugen eine geschichtliche Führung angeboten. Eine Reise in eine Zeit, als noch Pershing-II-Raketen auf der Heilbronner Waldheide stationiert waren. Und im Siegelsbacher Depot, wo heute der Verputz bröckelt und Vögel nisten, wurden nach dem NATO-Doppelbeschluss in den 80er Jahren atomare Sprengköpfe für die Pershing-II-Mittelstreckenraketen gelagert. Das seit 1950 bestehende US-Munitionsdepot bei Siegelsbach gehörte fortan zur Heilbronner Pershing-II-Abschussbasis und wurde um einen Hubschrauberlandeplatz und Lagerbunker erweitert. „Wir ahnten damals schon, was hier passiert wegen all der Lastwagen und Hubschrauber“, erinnert sich ein Siegelsbacher Familienvater.

Schlagartig aufmerksam auf die von den US-Miliärs bis dahin verschwiegene Gefahr machte 1985 die Explosion eines Treibstofftanks einer Pershing-Rakete auf der Waldheide bei Heilbronn. An einer atomaren Katastrophe schrammte die Region vorbei, da kein Sprengkopf angebracht war.

Dank des INF-Abrüstungsvertrags von 1987 wurden bis 1992 alle US-Soldaten und Atomwaffen abgezogen. Doch auch dies geschah nicht unter den Augen der Öffentlichkeit. Quasi über Nacht stand auf einmal das von den Amerikanern genutzte Gelände leer. Die Bundeswehr übernahm das Areal, das an das 39 Hektar große Areal des bestehenden BW-Depots anschließt.

Wie unvermittelt der US-Abzug 1992 verlief, schilderte ein ehemaliger Bundeswehrmitarbeiter, der als Techniker an diesem Standort eingesetzt wurde: „Wir hatten keinen Kontakt zu den Amerikanern und kaum Informationen zum Depot“, so der Zeitzeuge. „Uns wurden fast 1000 Schlüssel übergeben und es dauerte lange, bis klar war, wo welcher passt.“

Spezialisten Es stellte sich heraus, dass die speziellen Stahlkonstruktionen in einigen der so genannten NATO-Bunker nur von Spezialisten abgebaut werden konnten. Die Bundeswehr nutzte die Gebäude für Fahrzeuge und ausgemustertes Militärgerät. Bis Ende dieses Jahres zieht auch die Bundeswehr von dem Areal ab.

Militärgeschichte Rund 85 Interessierte kamen zur Führung durch das ehemalige Hochsicherheitsgelände. Organisiert wurde die Aktion vom Solarkraftwerksbetreiber Ecovision, der das US-Areal heute zur Gewinnung von Solarstrom nutzt. Die militärische Geschichte, die 1939 mit einer Heeresmunitionsanstalt begann, endet nach 70 Jahren – friedlich.

Bildunterschrift: Links Solarkraftwerk, rechts Bunker für Atomwaffen: Zeitzeugen gaben Einblicke in die wechselvolle Geschichte des ehemaligen US-Depots. Foto: Doris Gabel

12.10.2010 - Heilbronner Stimme - Nachbarschaft - Doris Gabel