11-03-15 - Hst - Region Heilbronn - Mitgefühl, Alpträume, Ausstiegsforderungen

Nach Geschehnissen in Japan wird im Unterland über Atomkraft heftig diskutiert – Erinnerungen an Tschernobyl

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Von unserer Redaktion

Region „Eigentlich gehört GKN I abgeschaltet“, sagt Elke Freiberger schon gestern Mittag, noch bevor Kanzlerin Angela Merkel nachmittags die Abschaltung von GKN I ankündigte. Die Rentnerin steht mit ihrer Einkaufstüte auf dem Marktplatz in Neckarwestheim. Atomstrom aus dem Ausland zuzukaufen sei aber keine Lösung, findet sie: „Deren Kraftwerke sind auch nicht sicherer als unsere.“ Als Neckarwestheimerin sieht sie noch einen Aspekt: „Wird es abgeschaltet, sitzen bei uns die Leute auf der Straße.“

Abschalten Silvia Pasmakis ist mit dem Kinderwagen im Ort unterwegs. Sie ist schockiert von den Bildern aus Japan. Obwohl das GKN ein täglicher Anblick ist, habe sie „nie an so etwas gedacht“, sagt die 39-jährige Mutter. „Es heißt ja immer, dass unser Kraftwerk hier sehr sicher ist, aber das haben sie in Japan auch gedacht.“ Elke Lambert sieht das GKN von ihrem Haus aus. Seitdem sie gelesen hat, was in Japan passiert, habe sie schreckliche Bilder von Terrorangriffen oder Flugzeugabstürzen im Kopf, so die 46-Jährige. Gerhard Rieker macht sich keine allzu großen Sorgen um die Sicherheit: „Das dort war ja schon ein Extremfall“, sagt der Rentner über die Geschehnisse in Japan. Die Gemeinde profitiere seit langem vom Kernkraftwerk. Man könne jetzt nicht einfach fordern, es von heute auf morgen abzuschalten.

Der Bad Friedrichshaller Thomas Schimpf sagt: „Bei uns gibt es zwar nicht so schlimme Erdbeben, aber dafür baut man Kraftwerke auf porösem Grund.“ Es werde immer gesagt, das Restrisiko sei so gering, dass nichts passiert, „aber das stimmt wohl nicht, wie sich jetzt gezeigt hat“, so der 49-Jährige. Die Heilbronnerin Marion Thomas (54) glaubt nicht, „dass unsere Kraftwerke sicherer sind als die in Japan.“ Der Student Markus Hertner hofft, dass „durch das schreckliche Ereignis ein Bewusstsein dafür entsteht, dass es sich bei Kernkraft um eine unbeherrschbare Technologie handelt“. Wenn jetzt kurzerhand entschieden werde, GKN I abzuschalten, hält der 22-Jährige das für eine „populistische Aktion“ angesichts der bevorstehenden Landtagswahl. „Die CDU wird bei der Wahl eine Retourkutsche erhalten“, ist sich Peter Ludwig aus Bammental sicher. Der 44-Jährige glaubt, dass die Katastrophe in Japan eine „Zäsur im Umgang mit Atomenergie sein wird“.

„Schlimm“ war das Erste, das Thomas Schulz beim Anblick der Fernsehbilder dachte. Dem Helfer beim THW Heilbronn wurde dabei bewusst, wie nah das AKW Neckarwestheim ist. Der Katastrophenschützer weiß, „dass Zeit bei so einem Ereignis der limitierende Faktor ist“. Polizist Harald Schumacher erinnerten die TV-Bilder an das Reaktorunglück von Tschernobyl. „Es ist die größte anzunehmende Verantwortung, erstmal organisierte Strukturen in die Hilfsaktionen reinzubringen“, hat Schumacher als Polizist gedacht. „Es ist immer eine Gratwanderung: Hilfe für die Betroffenen zu leisten und gleichzeitig die Hilfskräfte zu schützen.“

Sofort die sieben ältesten deutschen Reaktoren stilllegen: Das fordert der Initiativkreis Energie Kraichgau, der sich für die Förderung erneuerbarer Energien einsetzt. „Eine atomare Katastrophe wie die derzeitige in Japan ist jederzeit auch in Deutschland möglich“, sagte Klaus Schestag, Sprecher der Initiative. Eine Stromlücke sei durch das Abschalten der Alt-Meiler nicht zu befürchten: „Saubere Alternativen stehen genügend bereit.“

Das sieht Hüffenhardts Bürgermeister Walter Neff anders. Ein sofortiger Ausstieg sei nicht möglich. Die Gemeinde im Neckar-Odenwald-Kreis bezieht seit Monaten auch Strom aus einem Wasserkraftwerk. Auf jährlich 1500 bis 1600 Euro schätzt Neff die Mehrkosten, bei insgesamt mehreren zehntausend Euro.

„Mir wird es himmelangst, wenn ich an die Menschen in Japan denke“, sagt Regina Stenger. Die Vorsitzende des Initiativkreises „Hilfe für Kinder von Tschernobyl“ hat erlebt, wie langwierig die Folgen einer Reaktorkatastrophe sind. Noch immer werden Kinder mit Genschäden geboren. So hätten viele Kinder, denen sie Ferien im Unterland ermöglichten, Augen- und Zahnprobleme. Ihr Fazit: „So können wir mit der Natur und unserem Leben nicht umgehen. Es bleibt nur der Ausstieg aus der Atomkraft.“ fur, mut, kal, ing

Umfrage unter Jugendlichen
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Bildunterschrift: Deutschlandweit fanden gestern Mahnwachen statt. Auf dem Heilbronner Kiliansplatz versammelten sich etwa 200 Menschen zu einer Gedenkminute. Foto: Veigel

15.03.2011 - Heilbronner Stimme - Region Heilbronn