11-08-15 - Hst - Region Heilbronn - Sprechgesang gegen Kernenergie & Kommentar: Nicht vergessen

Rund 500 Menschen bei der Abschalt-Demonstration dabei - Bericht aus Japan

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Von Joachim Kinzinger

Für den sofortigen Atomausstieg haben rund 500 Menschen, so die Polizei, bei der Demonstration in Neckarwestheim protestiert. „Wir müssen weitermachen“, ruft Monika Knoll vom Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn am Kirchheimer Bahnhof den Atomkraftgegnern zum Auftakt zu. Lautstark geben die Trommler von Lokomotive Stuttgart den Takt vor. Mit rund 1000 Aktivisten rechnet Herbert Würth vom Castor-Widerstand Neckarwestheim. Denn: Sechs große Atommeiler sollen weiter laufen. Würth bezeichnet den Atomausstieg als „Mogelpackung“.

Blockade Vor dem Bahnhof wartet Wolfram Scheffbuch, Sprecher der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN), auf einen Gast: den Japaner Tomoyuki Takada. Scheffbuch erinnert daran, dass ursprünglich eine Abschaltblockade vor dem GKN II geplant war: „Die wurde verschoben.“ Jetzt geht es wieder auf die Straße, mit Takada, der aus der Umgebung von Fukushima berichtet. Der in Düsseldorf lebende Japaner steigt mit seiner Frau und rund 100 Leuten aus dem Zug aus. „Viele haben Angst, die Radioaktivität ist nicht sichtbar“, erzählt er von Gesprächen in Japan.

Der Demonstrationszug setzt sich gegen 14.15 Uhr in Bewegung: „Abschalten“, so tönt es aus der Menge. Die Protestierer schwenken Fahnen, halten Transparente hoch. Jolante (13) aus Reichenbach ist mit ihrem Vater dabei, „weil Atomkraft der Natur schadet“. Ein 59-jähriger Lehrer aus Schwaigern schiebt sein Fahrrad im Tross über die Brücke: „Jeder Kopf zählt heute“, sagt er.

Die Polizei hält sich mit ihrer Präsenz zurück. Alles sei im grünen Bereich, betont Einsatzleiter Peter Rapp, der die Zahl der Demonstranten mit 500 angibt. Vor Tor 2 haben die Aktivisten ein Bauschild aufgebaut: „GKN II Stilllegung sofort, nicht erst 2022.“ Viele unterschreiben auf dem davorliegenden Karton. Die Kundgebung eröffnet der Arzt Franz Wagner von der Energiewende Heilbronn. „Atomausstieg sieht anders aus“, lautet seine Botschaft. Der zweite Block sollte nach dem neuen Atomausstieg noch 11,5 Jahre laufen. Aber: „Jeder Tag Weiterbetrieb ist ein Tag zu viel.“

Hilfe Dann betritt Takada die Bühne, der erst vor wenigen Tagen aus Japan zurückgekehrt ist. Er vertritt die Organisation „Atomfree eastwest“, die betroffenen Menschen um Fukushima hilft: „Sie brauchen eine Perspektive.“ Er berichtet von tränenreichen Gesprächen, von entwurzelten Menschen, von Selbstmorden unter Bauern, von depressionsgeplagten Leuten, von Müttern, die Sorgen um ihre Kinder haben. „Nicht locker lassen“, so lautet seine Botschaft beim Kampf gegen die Atomenergie. Ein gemeinsamer Sprechgesang mit einfachen japanischen Worten, die übersetzt „Nein, Nein, AKW“ oder „Ja, Ja zum Atomausstieg“ heißen, wird symbolisch nach Japan geschickt. Es ist der Höhepunkt der Kundgebung.

Kommentar „Nicht vergessen“

Bildunterschrift oben: Sofort abschalten, das rufen die Demonstranten beim Protest vor dem zweiten Kernkraftblock in Neckarwestheim immer wieder. Fotos: Guido Sawatzki

Bildunterschrift mitte links: Tomoyuki Takada hat in Japan diese Jutetaschen verteilt.

Bildunterschrift mitte rechts: Die Polizei gibt sich hinter den aufgestellten Bauzäunen an der Einfahrt zu GKN II zurückhaltend und beobachtet das Geschehen.


Hintergrund

Veranstalter

Die Abschalt-Demonstration zum Kernkraftwerk Neckarwestheim veranstalten das Aktionsbündnis Castor-Widerstand Necskarwestheim, das Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn, der Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar, die IPPNW -Gruppe stuttgart und Südwestdeutsche Anti-Atom-Initiativen. Üblicherweise marschiert der Protestzug vom Kirchheimer Bahnhof zum Tor 1 von GKN beim Informationszentrum. Um darauf hinzuweisen, dass Block II des Meilers noch in Betrieb ist, wird Tor 2 am Samstag zur Protestzone. kin


Kommentar

Der Sprechchor für den Atomausstieg ist der Höhepunkt der Demonstration in Neckarwestheim.

Von Joachim Kinzinger

Nicht vergessen

Mit 1000 Teilnehmern hatten die Organisationen jetzt in der Urlaubszeit im Vorfeld gerechnet, jetzt kommen nur 500 zur Abschalt-Demonstration nach Neckarwestheim. Zum Vergleich: Am Ostermontag protestierten 6000 bis 8000 Menschen im Protestmarsch von Kirchheim zum GKN gegen die Atomenergie. Unter dem Eindruck der Kernschmelze in japanischen Fukushima-Reaktoren und hohen Strahlenwerten war dies der Höhepunkt der Protestwelle. Seither hat sich viel verändert: Sieben Alt-Meiler, darunter der erste Block in Neckarwestheim, sind stillgelegt. Die sechs größten Reaktoren bleiben stufenweise bis 2022 am Netz. Doch der harte Kern der Aktivisten bleibt skeptisch. „Der Atomausstieg könnte wieder verändert werden“, mutmaßt Dr. Jörg Schmid von Strom ohne Atom. Monika Knoll von der Energiewende Heilbronn hat öfters von Leuten gehört, GKN sei ja abgeschaltet. Aber: „Wir wollen im Gedächtnis behalten, dass GKN II bis 2022 läuft.“

Es ist die Speerspitze der Anti-Atom-Bewegung, die weiterhin auf die Straße geht und für den sofortigen AKW-Ausstieg aller Anlagen trommelt. Grüne und SPD, die dem neuen Atomgesetz im Bundestag mit zugestimmt haben, gehören diesmal nicht zum Aktionsbündnis in Neckarwestheim.

Viel wichtiger ist aber, dass die Reaktorkatastrophe im März in Fukushima nach wenigen Monaten nicht in Vergessenheit gerät, die aus den großen Schlagzeilen verschwunden ist. Der Japaner Tomoyuki Takada, der seit vielen Jahren in Düsseldorf lebt, hält das Gedenken bei der GKN-Demonstration eindrücklich wach. Seine Eindrücke von kürzlichen Besuchen und tränenreichen Gesprächen im Kathastrophengebiet um Fukushima unterstreichen, unter welchen Ängsten und Nöten die Menschen leben: Die radioaktive Strahlung sieht und riecht man nicht.

Deshalb ist der Sprechgesang der GKN-Demonstranten mit japanischen Wörtern für den Atomausstieg weit mehr als ein Symbol.

15.08.2011 - Heilbronner Stimme - Region Heilbronn - Joachim Kinzinger