12-03-17 - Hst - Region Heilbronn - Christen bekennen Farbe

SERIE - In der Heilbronner Nikolaigemeinde hat politisches Engagement Tradition

Von unserem Redakteur Kilian Krauth

Als beim Weindorf 2010 Anti-Atomkraft-Aktivisten am Heilbronner Kiliansturm ein Transparent entrollen, ist die Aufregung groß. Als aber zum Fukushima-Jahrestag an der Nikolaikirche beim K3 das streitbare Sonnengesicht Passanten in der Fußgängerzone entgegenstrahlt, stößt sich kaum jemand daran. Die evangelische Nikolaigemeinde ist bekannt dafür, dass sie politisch Farbe bekennt, das war schon vor Fukushima so.

Bei uns hat Politik Tradition“, betont Pfarrer Ulrich Koring und verweist auf Zeugnisse am Gebäude. So werden Besucher an der 500 Jahre alten Sandsteinpforte von vier Bürgerfiguren begrüßt, die vom freien Geist der einstigen freien Reichsstadt zeugen. Während der 1848er Revolution diente das Gotteshaus wie die Frankfurter Paulskirche der Bürgerschaft als demokratischer Versammlungsort. Und nicht zuletzt in den anno 1959 installierten Glaskunstfenstern zeigen biblische Szenen die gesellschaftspolitische Aktualität der christlichen Botschaft.

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Gerechtigkeit Den Tsunami von Fukushima vor Augen, verweist Pfarrer Koring auf das Sintflut-Motiv. Mit Arche und Regenbogen sensibilisiere Noah dafür, „wie nah Heil und Unheil beieinander liegen und wie leicht Ressourcen-Verschwendung oder Schadstoff-Emissionen in Umwelt- und Selbstzerstörung umschlagen“. Das Mose-Motiv mit dem Tanz um das goldene Kalb sei als Warnung vor Machtstreben und Gier zu verstehen. Und Amos warne Wohlhabende zur Gerechtigkeit.

Die neutestamentlichen Szenen sprechen, so erläutert Koring, „mit den Werken der Barmherzigkeit für sich“: Nackte bekleiden, Hungrige speisen. Gebet und Segnung bilden gleichwohl auch für ihn die Grundlage des Glaubens. „Aus der Hingabe an Gott erwächst die Hinwendung zur Welt“, sagt der Theologe. Und: je tiefer die religiösen Wurzeln, desto entschiedener engagierten sich Christen für politische Belange.

Die Kirchengemeinderäte Dr. Henning Hoffmann und Matthias Herre spannen den politischen Bogen in die Gegenwart: von den Abrüstungsprotesten der 70er über die Golfkrieg-Lichterketten der 90er, Themen zur Arbeitswelt, Solidaritätsaktionen mit Entwicklungsländern oder Krisenherden bis zur Nachhaltigkeitsdebatte mit aktueller Energiewende.

Demo-Aufruf Broschüren am Kircheneingang oder Aushänge an der Pforte tragen Titel wie „Klimaschutz geht alle an“, „Archaische Weltsicht und moderne Ökologie“, „Kunst fürs Klima“. Über die klassischen Formen der Verkündigung, also Gottesdienst, Fürbitte und Predigt hinaus, reichen die Aktionsfelder von Diskussionsforen, Ausstellungen bis hin zum Demo-Aufruf: gegen Atomkraft und nicht zuletzt gegen den Naziaufmarsch vom 1. Mai 2011. „Als Christ ist so etwas für mich mich Pflicht“, betont Herre. Letztlich gehe es auch darum, Migranten vor der eigenen Kirchentür die Hand zu reichen – wie etwa schon seit den 1990er Jahren in dem vom ehemaligen Nikolaipfarrer Günter Spengler initiierten christlich-muslimischen Arbeitskreis.

„Christsein findet nicht außerhalb der Welt und des Alltags statt, es bedeutet eine Haltung gegenüber gesellschaftspolitischen Fragen, auch als Hilfestellung für Fragende“, betont Hoffmann, wobei Parteipolitik in der Gemeinde außen vor bleiben sollte. Natürlich gebe es Grenzbereiche, wie etwa Stuttgart 21. „Aber bevor wir in die Öffentlichkeit gehen, werden alle Themen im Kirchengemeinderat diskutiert, mitunter auch kontrovers. Im Prinzip sind wir ein Teil der Gesellschaft. Da ist wahrlich auch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen.“

Hintergrund
Mitten im Leben

Die evangelische Nikolaigemeinde umschließt Teile der Kernstadt und den nord-östlichen Teil der Kernstadt von Heilbronn. Sie zählt 2200 Gemeindemitglieder. Zum besonderen Profil gehören neben Politik und Sozialem auch die von Dr. Dietlind Bäuerle-Uhlig betreute Kirchenmusik. Auch Integration und Ökumene werden groß geschrieben. So gibt es gute Kooperationen mit KAtholiken und mit Muslimen. Nikoai ist experimentierfreudig und probiert gerne neue Formen kirchlicher Arbeit in der City aus: mit Kultur- und Bildungsveranstaltungen, aber auch mit der Öffnung der Kirche während der Woche: mittwochs bis freitags 15 bis 18 Uhr, samstags 11 bis 14 Uhr. Das Pfarrbüro und das Gemeindehaus mit Kindergarten befinden sich in der Wilhelm-Busch-Straße 6, in der Dammstraße 55 findet sich zudem der Nikolai-Kindergarten. Infos auch im Internet: www.nikolaigemeinde-heilbronn.de kra

Bildunterschriften:

„Bevor wir in die Öffentlichkeit gehen, wird alles diskutiert.“ Dietlind Bäuerle-Uhlig, Matthias Herre, Ulrich Koring, Henning Hoffmann (von links). Foto: Dennis Mugler
Kunstfenster mit Noah und Mose öffnen politische Dimensionen.
Anti-Atomkraft-Banner an der Kirchenwand von Nikolai. Foto: Mario Berger

17.03.2012 - Heilbronner Stimme - Region Heilbronn - Kilian Krauth