13-03-11 - Hst - Region Heilbronn - Erinnerung an die Katastrophe

Kirchheim/Neckarwestheim Kritik an Grün-Rot wegen Evakuierungsplänen und dem Ausbau des Meilers Fessenheim

„Manche glauben, dass Strahlung unter einer grün-roten Regierung weniger gefährlich ist.“

Franz Wagner

Von unserem Redakteur Rolf Muth

Am Straßenrand knattert der Geigerzähler, der lange Zug schweigender Menschen überschreitet die Sperrzone. Sie marschieren vorbei an einem Dekontaminationszelt, an im Gras liegenden Puppen. Diese sollen Opfer darstellen, Flüchtende, die es trotz weißer Schutzkleidung und Atemschutz nicht geschafft haben. Die Kulisse ein paar hundert Meter entfernt vom Neckarwestheimer Kernkraftwerk könnte düsterer nicht sein.

Aktionen Nach Angaben des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) nehmen 3000 Teilnehmer an der Großkundgebung zum zweiten Jahrestag der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima teil. Die Polizei spricht von 1500. Aktionen gibt es an diesem Samstag bundesweit, dennoch sind viele von weither angereist. Eine Gruppe kommt vom Bodensee, um zu demonstrieren: Gegen das Vergessen, gegen die Energielobby und für den sofortigen Atomausstieg. Der Zug vom Kirchheimer Bahnhof zum 2,5 Kilometer entfernten Kraftwerk ist bunt. Hunderte Fähnchen „Atomkraft – nein danke!“ flattern im Wind. Der trägt schließlich Tausende gelbe Luftballons gen Nord-Osten, knapp an Heilbronn vorbei, Richtung Löwensteiner Berge.

Das soll kein harmloser Luftballonwettbewerb sein: Die Aktion ist vielmehr eine sichtbare Demonstration, wohin eine Atomwolke nach einem Unfall im Kernkraftwerk ziehen würde.

170 Kilometer entfernt vom havarierten japanischen Atommeiler sei noch Strahlung gemessen worden, erinnert Stefan Mende-Lechler von der Initiative Anti-Atom Ludwigsburg an die Katastrophe vor zwei Jahren. Die Bevölkerung in den Regionen Heilbronn und Stuttgart sei aufgrund eines „völlig unzureichenden Katastrophenschutzes“ auf sich alleine gestellt, wettert BUND-Regionalgeschäftsführer Axel Mayer. Im 40-Kilometer-Radius des Atommeilers lebten 2,7 Millionen Menschen. Mayer kritisiert die Landesregierung wegen mangelnder Evakuierungspläne. Diese habe Grün-Rot zwar von der Vorgängerregierung so übernommen, räumt er ein. Sie seien aber auch nicht konsequent verbessert worden. Und er prangert an, dass die landeseigene EnBW, auch Betreiber des Kernkraftwerks Neckarwestheim, sich an der „Aufhübschung“ des französischen Atommeilers Fessenheim beteilige.

Jedes privat finanzierte Windrad, jede Solaranlage schmälere die Macht und den Profit der Atomlobby, fordert er zur Einzelinitiative auf, um dann einem besonderen Redner das Mikrofon zu reichen: Tomoyuki Takada. Dessen Großeltern wurden von der Atombombe der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg getötet.

Viele seiner Landsleute sind nach dem Atomunfall jetzt einer tödlichen Strahlung ausgesetzt. „Dies ist keineswegs die Folge einer Naturkatastrophe, sondern das Versagen der Politik. Fukushima ist längst nicht vorbei“, sagt der Deutsch-Japaner mit Blick auf den desolaten Block 4, in dem 1534 abgebrannte Brennelemente im Abklingbecken lagern. „Bei einem Erdbeben wird dieser Block zusammenbrechen“, die von der Kernschmelze bedrohten anderen Reaktoren seien dann nicht mehr zugänglich. „Dann ist ganz Japan nicht mehr bewohnbar“, prophezeit der Gründer der Organisation „Atomfree Japan“.

„In Deutschland gibt es ein großes Hoffnungspotenzial“, sagt er mit Blick auf eine jahrzehntelange Demonstrationskultur gegen Atom und für die eingeleitete Energiewende. In Japan seien Kernkraftgegner von den Nachbarn gemieden worden, seien isoliert gewesen. Noch heute würden Kundgebungen von der Polizei rigoros eingekesselt. „Japan hat nicht diese große Demonstrationsfreiheit. Abschalten“, ruft er – mit geballter Faust, die er in die Höhe streckt.

Kampf „Atomausstieg und Energiewende kommen nicht von alleine, auch nicht bei einer grün-roten Landesregierung. Sie kommen von unten und müssen engagiert erkämpft werden“, wendet Franz Wagner von der Energiewende Heilbronn den Blick wieder der Energieanlage in direkter Nachbarschaft zu. „Manche glauben, dass Strahlung unter einer grün-roten Regierung weniger gefährlich ist“, sagt er und fordert Wachsamkeit. So kritisiert er das Land als Eigentümer, weil der Neckarwestheimer Atommeiler noch bis 2022 laufen soll: „Geld ist offenbar wichtiger als Sicherheit.“

Bildunterzeile 1: In der Sperrzone: Die Folgen eines Gaus sollen die leblosen Puppen darstellen.

Bildunterzeile 2:  Auch sie demonstriert für den konsequenten Weg bei der Energiewende.

Bildunterzeile 3: Zum zweiten Jahrestag des Atomreaktorunglücks in Japan zogen die Demonstranten von Kirchheim vor das Kernkraftwerk nach Neckarwestheim. Fotos: Andreas Veigel

11.03.2013 - Heilbronner Stimme - Region Heilbronn - Rolf Muth